QUARANTIME - The World On My Doorstep

2020/21, C-Prints, 24 x 36 cm, Selection

 

Text von Heidi Stecker, März 2021:
(english version here)

Nun sind wir schon seit über einem Jahr in Quarantäne, stückweise, mal sind wir isolierter, mal dürfen wir uns ungezwungener bewegen. Wir schützen uns, indem wir sehr häuslich werden, werden müssen, um uns und andere zu retten. Früher mussten die Schiffe in Quarantäne auf See warten, bevor Mensch, Tier und Pflanze und auch Dinge an Land durften. Die Frist einer solchen Isolation betrug oft vierzig Tage. Von daher gelangte das Wort „Quarantäne“ über das französische „quarantaine de jours“ – die besagten „vierzig Tage“ – aus dem Lateinischen ins Deutsche. Nun haben wir die vierzig Tage schon längst überschritten und aus der Quarantäne wurde eine „Quarantime“. Doch ob sie auch eine Quality time ist, muss sich noch erweisen. Eine aktuelle Werkgruppe von Christine Bachmann, Quarantime“, setzt sich mit der Zeit in der Quarantäne auseinander. Wenn man drinnen bleiben muss und die Vorhänge beiseiteschiebt, was sieht man vom Fenster in der Großstadt aus? Wie bildet sich die Pandemie ab? Deuten Nebel und Regendunst auf Distanz und Isolation? Oder wird die Schönheit des Alltags und der Natur neu entdeckt?

 

Die Künstlerin Christine Bachmann schaut aus ihrem Fenster in die Welt draußen vor ihrer Haustür. Der Himmel, ja, ich muss es sagen, es ist der Himmel über Berlin, den Wolken, Bäume, Äste und Zweige zu dynamisch bewegten oder stillen klaren Flächen formen. Die  Nachbarschaft öffnet sich mit Fenstern und Loggien. Schatten und Spiegelungen verschränken das Innen und Außen.
Die Großstadt präsentiert sich ganz ungewohnt still, eine poetische Atmosphäre erfüllt den urbanen Raum. Flügelschlagen und Grasrauschen treten akustisch nach vorn. Es dominieren kalte Farben, Grün- und Grautöne, die jedoch dreimal, wieder eine magische Zahl, durchbrochen werden von warmem Licht. Das Drinnen und Draußen des eigenen Fensters in der schützenden Wand und die Fenster der Anderen blicken einander an anstelle der Menschen, denn die bleiben ja hinter den anderen Fenstern verborgen.

 

Nur eine Fee – oder ist sie eine Prinzessin – zeigt sich als einzige Person. Die märchenhafte Erscheinung wirkt dank einer Regenbogenspiegelung wie in andere Sphären hinter einen Schleier entrückt. Nur diese rätselhafte Figur hat ein Gesicht. Und gibt es noch etwas Menschliches? Einen Blick in den Schritt einer weiblichen Skulptur, sicherlich in einem Park stehend, öffentlich, selbstbewusst, nur dieser Beckenausschnitt zwischen den Ansätzen aufragender Beine – aber nein, es ist eine Astgabelung. Eine Blickfalle. Das Bedürfnis nach Leben, nach Menschen lässt einen Körper sehen, wo keiner ist.

Die zarten Berührungen des Außen gehen von Bachmanns persönlichem Erleben aus. Ihr beobachtender Blick entfaltet sich auch in dieser fotografischen Serie. Bachmann wählt bestimmte Details, sachte Kommentare zu Corona. Jede einzelne Fotografie steht autonom für sich. Sie fügen sich nicht zu einer geschlossenen Erzählung, aber visualisieren Momente in einem Prozess mit offenem Ausgang.